Jürgen Straub

Prof. Dr. Jürgen Straub, Bochum


Zur Person
Ist seit 2008 Inhaber des Lehrstuhls für Sozialtheorie und Sozialpsychologie in der der Fakultät für Sozialwissenschaft der Ruhr Universität Bochum (RUB); von April 2011 bis September 2013 war er Dekan dieser Fakultät. Seit Juli 2014 leitete er (mit Dr. Pradeep Chakkarath) das „Hans-Kilian und Lotte-Köhler-Zentrum für sozial- und kulturwissenschaftliche Psychologie und historische Anthropologie“ in der RUB (gefördert von der Köhler-Stiftung). In der Lehre engagiert er sich u.a. im interdisziplinären Master-Studienprogramm „Kultur & Person“, das er hauptverantwortlich konzipiert hat. In der RUB wirkt er u.a. in der Mercator Research Group „Spaces of Anthropological Knowledge: Production and Transfer“, im Research Department „Center for Religious Studies“ (CERES) und im interdisziplinären „Center for Anthropoietic Studies“ mit. Er ist Mitglied im Think Tank des Exzellenzclusters TOPOI an der Humboldt Universität Berlin und assoziiertes Mitglied im Freiburger DFG Graduiertenkolleg „Faktuales und fiktionales Erzählen“. Er ist Mitglied verschiedener wissenschaftlicher Gesellschaften und des Herausgeberkreises oder wissenschaftlichen Beirats mehrerer Fachzeitschriften. Studium der Psychologie, Soziologie und Philosophie in Zürich und Erlangen, Promotion (1989) und Habilitation (1995) in Erlangen, 1994 Fellow am Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld, 1999-2002 Fellow, Studiengruppenleiter und Mitglied des Vorstands des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen, 2001 Vertretungsprofessur für Mikrosoziologie in der Universität Gießen, 2002-2008 Professur für Interkulturelle Kommunikation in der Technischen Universität Chemnitz. Aktuelle Forschungsschwerpunkte: Kultur- und Sozialpsychologie, Mikrosoziologie; interdisziplinäre Sozial- und Kulturtheorie/komparative Sozialforschung und Kulturanalyse; interkulturelle Kommunikation und Kompetenz; Sozial- und Handlungstheorie, Identitätstheorie, Gedächtnistheorie, Auto-/Biographietheorie (einschließlich der zugehörigen empirischen Forschungsfelder); Geschichtsbewusstsein, Gewalt in modernen Gesellschaften, Religionspsychologie; Geschichte der Psychologie und der Psychologisierung der soziokulturellen Welt; qualitative Forschung.

Aktuelle Publikationen (Auswahl)
Straub, Jürgen (2016). Religiöser Glaube und säkulare Lebensformen im Dialog: Personale Identität und Kontingenz in pluralistischen Gesellschaften. (Ernst-E.-Boesch-Preis für Kulturpsychologie 2015) Gießen: Psychosozial.

Straub Jürgen (2016). Theorien der Identität. Hamburg: Junius (in Vorbereitung).

Métraux, Alexandre, Straub, Jürgen (Hg.) (2015). Prothetische Transformationen des Menschen: Ersatz, Ergänzung, Erweiterung, Ersetzung. (Reihe: Kultur – Gesellschaft – Psyche. Sozial- und kulturwissenschaftliche Studien, hg. von Katja Sabisch, Estrid Sørensen, Jürgen Straub, Bd. 10). Bochum: Westdeutscher Universitätsverlag.

Straub, Jürgen & Weidemann, Doris (2015). Die verstehend-erklärende Psychologie und das Forschungsprogramm subjektive Theorien. Gießen: Psychosozial.

Straub, J. (2015). Erlebnisgründe in Verletzungsverhältnissen. Unerledigte Vergangenheiten in aktionalen Erinnerungen, persönlichen Selbstverhältnissen und sozialen Praxen. In: Angehrn, E., Küchenhoff, J. (Hg.): Das unerledigte Vergangene. Macht und Grenzen der Erinnerung. Weilerswist: Velbrück, 119-149.

Straub, J. (2015). Ein Selbstbildnis erzählen. Narrative Identität, Kontingenz und Migration. In: Walz-Pawlita, S., Unruh, B., Janta, B. (Deutsche Psychoanalytische Vereinigung) (Hg.): Identitäten. Gießen: Psychosozial-Verlag, 17-42.

Im Netz
www.sowi.rub.de

Keynote
Titel: Ist der Geist ein Gespinnst von Geschichten?
Datum: Donnerstag, 13. Oktober 2016
Uhrzeit: 17.15 – 18.30 Uhr

Abstract
Nachdem die Psychologie und andere ‚Gedächtniswissenschaften‘ viele Jahrzehnte lang die für viele Erfahrungen und Erinnerungen konstitutive Funktion des Erzählens ignoriert haben, gilt es in jüngerer Zeit als ausgemacht, dass speziell die zeitliche Dimension unseres Lebens ohne vielfältige Bezugnahmen auf narrative Praktiken nicht angemessen begriffen werden könnte. Wir alle leben unentwegt im Horizont von Geschichten. Menschen ‚verfügen‘ – ab einem bestimmten Entwicklungsstand, der bestimmte sprachliche Fähigkeiten als einen integralen Bestandteil des Orientierungs- und Handlungspotentials bereits von Kindern ausweist – über narrative Kompetenzen. Diese Kompetenzen – die eng mit einem praktischen Wissen und Können verwoben sind, also allenfalls teilweise mit einem expliziten Wissen einhergehen – gestatten es uns, die Welt und das Selbst als einen nicht zuletzt aus Geschichten gestrickten Verweisungs-, Bedeutungs- oder Sinnzusammenhang zu verstehen (und uns auf der Grundlage dieses Welt- und Selbstverständnisses zu orientieren und zu bewegen als mit „narrativer Intelligenz [Jerome Bruner] oder „phronetischer Vernunft“ [Paul Ricœur] ausgestattete Wesen). Erinnerte Erfahrungen und daraus erwachsende Erwartungen sind ohne die Praxis des Geschichtenerzählens nicht zu begreifen (weder konzeptuell noch phänomenologisch oder empirisch). Insofern kann man sagen: der Geist ist ein Gespinst von Geschichten. Narrativität ist ein Strukturmerkmal unserer Praxis. Sie ist zutiefst ins Selbst- und Weltverhältnis des Menschen als Geschichtenerzähler eingelassen.

So weit, so gut. Der Vortrag rekapituliert jedoch nicht allein diese heute konsensfähige, unlängst etwa von Jens Brockmeier umfassend bilanzierte Einsicht. Er fragt darüber hinaus nach Grenzen dieser Erkenntnis. Der Geist ist eben nicht nur ein narratives Bezugsgewebe, in dem sich menschliche Angelegenheiten auf einzigartige Weise zur Sprache bringen und reflektieren lassen. Er kennt auch andere modus operandi. Dazu gehören nicht nur weitere Weisen des Sprechens (bzw. der sprachlichen Bezugnahme, der verbalen Kommunikation etc.), sondern auch ‚gänzlich‘ andersartige symbolische Formen. Eine davon möchte ich genauer betrachten. Neben die Narrativität tritt die Ikonizität als ebenso basale und elementare Weise, in der Welt zu sein und sich zu ihr, zu den anderen und zu sich selbst zu verhalten. Unsere Praxis ist ikonisch vermittelt und strukturiert. Menschliche Kommunikation besteht zu einem nicht geringen Teil – gerade heute, im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit und Produzierbarkeit von Bildern – aus ikonischer Verständigung. Die Bilder selbst – ihre Produktion und Reproduktion, ihr Austausch bzw. der durch sie und mit ihnen bewerkstelligte Austausch – sind irreduzibel, auf kein anderes Medium zurückzuführen. Der Geist ist ein Gespinst aus Bildern. Warum das so ist und was das (für die sozialwissenschaftliche Forschung, auch im Feld der Psychotherapieforschung etwa, oder für die psychotherapeutische Praxis) bedeutet, soll im Vortrag erörtert werden.