2. Sektion

Zweifeln an rationaler Entscheidbarkeit
– Ein Quantum Trost für Zweifler und Zauderer


Sektion II
Chair: Dr. Hans Rudi Fischer
Datum: 14. Oktober 2016
Uhrzeit: 10.00.-12.00 Uhr

 Impulsvortrag I. Das Spiel des Zweifelns und der Zwang zur Entscheidung

Prof. Günther Ortmann

Abstract
Ein heutzutage beliebter Topos der Argumentation ist es, ein gestern noch Missbilligtes heute zu billigen, ja, zu preisen. Wer Fehler macht, verfehlt das Richtige? Aus Fehlern aber lernt man, daher, so der Syllogismus der Fehlerfreundlichen, sind Fehler gut. Überall droht Scheitern? „Schöner Scheitern“ ist die Antwort. Routine ist öde? Luhmann schreibt das „Lob der Routine“. Zweifel lähmen? Ortmann stiftet „ein Quantum Trost für Zweifler und Zauderer“, und ein Symposion heißt „Die Kraft des Zweifelns“.
In dieser Lage ist es angebracht, sich zunächst der nicht so schönen Seiten des Zweifel(n)s zu vergewissern. Zweifel – sie liebt mich, sie liebt mich nicht – irritieren, verstören, quälen, und vor allem stören sie beim – oder hindern am – Entscheiden und Handeln. Das ist schlecht – wenn Entscheidungen gefragt sind und Handeln not tut oder jedenfalls wünschenswert ist. Das gilt es festzuhalten, bevor man das hohe Lied des Zweifelns singt. So richtig gut ist Zweifel eigentlich erst, wenn er behoben ist – wenn es wieder erfreuliche Gewissheit gibt. Am Ende also soll Gewissheit stehen. Sie steht aber auch am Anfang des Zweifelns, wie Wittgenstein bemerkte: „Das Spiel des Zweifelns setzt Gewissheit voraus.“ Es zählen nur begründete Zweifel, und die Gründe müssen als gewiss gelten oder wenigstens Gewissheiten geltend machen können. Leerer Zweifel – „paper doubt“ – zählt nicht, sagt Charles Sanders Peirce, und im Alltag – in der Lebenswelt – bedürfen wir dringend lauter Gewissheiten.
Erst inmitten einer Oszillation oder besser einer Helix von Gewissheit zu Zweifeln zu neuer Gewissheit, irgendwann vielleicht gefolgt von neuem Zweifel, kann – kann! – Zweifel eine Kraft entwickeln: wenn uns etwas einfällt – wenn etwas in uns einfällt -, das ihn erübrigt.  Kraft hat Zweifel nur, wenn er seine Erübrigung evoziert. Das tut er manchmal, und manchmal auch nicht. Also fragt sich: Wann tut er es? Darauf gibt es leider keine als Rezept  brauchbare Antwort.

Impulsvortrag II: Zweifeln als Managment-Kompetenz

Prof. Heinz-Klaus Stahl

Abstract
Im „klassischen“ Management gibt es keinen Platz für Zweifel und Zweifler. Auch wenn das Prinzip der „Machbarkeit“, auf dem diese Art des Managements beruht, den Zweifel geradezu herausfordert, so wird dieser doch meist unterdrückt, versteckt oder ignoriert.  Die Umwelten irritieren zwar die Organisationen laufend und immer häufiger mit Ungewissheiten verschiedenster Art. Jene, die dazu berufen wurden, Organisationen unter diesen Bedingungen zu „steuern“, immunisieren sich jedoch allzu oft gegen die Ungewissheiten. Daraus entstehen „Management-Pathologien“ wie z.B. „Ballistisches Entscheiden“, „Thematisches Vagabundieren“, „Dogmatisches Verschanzen“, „Einkapseln“ oder das „Rumpelstilzchen-Syndrom“. „Den Durchblick zu haben“ oder „zu wissen, wo es lang geht“, sind dann Ausdruck einer Selbsttäuschung.
Im „postklassischen“ Management hingegen, das sich als „Kunst der Intervention“ in sich selbst regelnde soziale Systeme versteht, wird der Zweifel zu einer Ressource. Das lässt sich am Beispiel der Ambivalenz zeigen. Sie ist ein Sowohl-als-auch und somit die Einheit eines dynamischen Mit- und Gegeneinanders, die sich im Denken, Fühlen oder Wollen zeigen kann. Die Erfahrungen solcher Gleichzeitigkeiten widersprechen unserem rationalen Denken, das sich auf den Geleisen zweiwertiger Logik, einem Entweder-oder, bewegt.
Um das Zweifeln als Management-Fähigkeit zu nutzen, bedarf es allerdings anderer Kompetenzen als derjenigen, die in Stellenbeschreibungen oder der Trivialliteratur zu finden sind. Zur Klärung muss zunächst der Begriff der „Kompetenz“, der längst zu einem Gummi- und Blähwort verkommen ist, zurechtgerückt werden. Auf dieser Grundlage können dann jene Fähigkeiten  definiert werden, die unabdingbar sind, um in soziale Systeme unter den Bedingungen hoher Komplexität („Alles scheint mit jedem verbunden zu sein“) und hoher Kontingenz (erlebt als Zufälligkeit) zu intervenieren: Heuristische, intrapersonale, interpersonale, interpretative und inszenatorische Kompetenz. Mit Ausnahme letzterer, bei der es um Eindruckssteuerung geht, spielen Zweifel, zweifeln dürfen und können eine entscheidende Rolle, die bislang meist übersehen wurde und die im Vortrag geklärt werden wird.

Impulsvortrag III: Befreiungsschläge: Vom organisationalen Zweifel zum Zweifel an der Organisation

Prof. Frank E.P. Dievernich

Abstract

Abstract:
Zweifeln ist menschlich. Wo aber ist es die Organisation, das Unternehmen, die Verwaltung, die Schule, um nur ein paar organisationale Gebilde zu nennen, die zweifelt? Wo ist der organisationale Zweifel innerhalb der Organisation verankert? Aus einer anwendungsorientiert-praktischen Perspektive werden exemplarisch zwei Organisationstypen betrachtet: Hochschulen und Unternehmensberatungen. Dabei wird zwangsläufig auf die Kultur und das Selbstverständnis dieser Organisationen eingegangen, die uns einen Hinweis geben, wo nach der Verankerung des Zweifels zu suchen ist. Das reicht aber für einen umfassenden Erkenntnisgewinn nicht aus, sind diese doch ebenfalls eingebunden in das Wissenschafts- und das Wirtschaftssystem unserer Gesellschaft, die dem Zweifel einen bestimmten Platz eingeräumt zu haben scheinen. Der Zweifel präsentiert sich für das Hochschul-, wie für das Beratungswesen als Medium in dessen Raum Entscheidungen, wie Handlungen getroffen und getätigt werden müssen. Damit vor lauter Zweifel dies dennoch nicht unterlassen wird, müssen beide Organisationstypen Mechanismen entwickeln, den Zweifel kurzzeitig als Referenzpunkt zu eliminieren oder zumindest diesen abzuschwächen. Letztendlich, so wird aufzuzeigen sein, ist der Zweifel Stein des Anstoßes für Reflexion, Weiterentwicklung und immunisiert die Organisation gegen eine zu schnelle Überhitzung. Der Zweifel und die Skepsis sind, entsprechend interpretiert, Partner der Organisationsentwicklung und so ernst zu nehmen, wie der Widerstand in einer Organisation, will man mit ihnen fruchtbar arbeiten. Auf Seiten der Person stellen beide den Einwand gegen die Organisation dar. Dieser Beitrag will nun zeigen, dass auch Organisationen über strukturelle Zweifel- und Skepsisoptionen verfügen, um sich zweifelnd an sich selbst auszurichten und weiterzuentwickeln. Das aber ist nur fruchtbar, in dem gleichsam dem organisationalen Erfordernis nachgekommen wird, an entsprechender Stelle sich über den Zweifel hinwegzusetzen, um dann wieder mit dem Zweifeln beginnen zu können. Und wenn das eine Organisation nicht zu leisten vermag, dann kann sie auf jene Organisationen zugreifen, die als Ganzes, zumindest zu Beginn der Beziehung zu ihnen, für den organisationalen Zweifel stehen: Unternehmensberatungen. Gesamtgesellschaftlich kann das durchaus ein Zeichen sein, dass die Zeit reif ist, generell am Konzept der Organisation als Organisationsprinzip zu zweifeln.