Sektion 6

Hirn und/oder Psyche – zur Zukunft der Psychotherapie


Sektion VI
Chair: Annette Pestalozzi und Ulrike Borst
Datum: Freitag, 14. Oktober 2016
Uhrzeit:16:30 – 18:30 Uhr

Impulsvortrag I: Aus Sicht der Konversationsanalyse

Prof. Michael B. Buchholz

Abstract
Neurowissenschaftler publizieren begeisterte Aufsätze über „brain-to-brain-coupling“ – und übersehen vollkommen, dass es sich um kommunikative Prozesse handelt. So präzise sie in Zeitmessungen dessen sind, was im Gehirn geschieht, umso ignoranter verhalten sie sich der Konversation gegenüber. Menschen sind durch und durch soziale Wesen. Insofern könnte ein Brain-Determinismus nur ein höchst unvollständiges Bild abgeben. Die Konversationsanalyse (KA) hat wesentliche mikro-analytische Beiträge zur menschlichen Sozialität beisteuern können. Mein Beitrag wird sich auf die „time-slots“ in Gesprächen beziehen; sie sind viel kürzer, als neurologische Befunde erwarten lassen – aber es gibt brauchbare Erklärungen dafür, die die Vorstellungen menschlicher Verbundenheit grundlegend erweitern.

Impulsvortrag II: Das Zweifeln sichtbar machen – die Affektbilanz

Dr. Maja Storch

Abstract
Beim Zweifeln haben wir es mit einer oszillierenden Mischung aus positiven und negativen Affekten zu tun. Die Hirnforschung hat uns nützliches Wissen darüber beschert, wie man sich die Entstehung von positiven und negativen Affekten im Gehirn vorstellen kann. Dieses Wissen kann übersetzt werden in eine Technik, die in der Psychotherapie gut einsetzbar ist. Die Affektbilanz erlaubt es, die normalerweise schwer zu interpretierende Mischung aus verschiedenen Affekten sichtbar zu machen. Ausserdem erlaubt sie es auch, das Affektgeschehen zu quantifizieren. Dadurch ergeben sich Möglichkeiten der Verlaufskontrolle für Praxis und Forschung.

Impulsvortrag III: Embodiment, Synchronie, und das Verhältnis zwischen Körper und Geist

Prof. Wolfgang Tschacher

Abstract
Der Dualismus ist nicht überwunden, es geht nur darum, wie man mit ihm umgeht. Ich zweifle an jeder Art von Reduktionismus, sei es ein Konstruktivismus oder eine Reduktion, die den Geist und das Erleben in der Psychotherapie auf Gehirnprozesse reduzieren will. Embodiment dagegen heisst, Körperprozesse ernst zu nehmen ohne den Geist zu naturalisieren. Empirische Befunde der vergangenen Jahre zeigen, dass der Körper in verschiedener Weise die therapeutische Allianz beeinflusst: die therapeutische Kommunikation ist „embodied“ in Form von Synchronie. Synchronie, die signifikante Korrelation von motorischen und physiologischen Mustern von Klient und Therapeut in der Therapiesitzung, hängt eng mit Prozess und Outcome von Therapie zusammen. Embodiment gehört damit zu den allgemeinen Wirkfaktoren von Psychotherapie.

Impulsvortrag IV: Die Rolle der systems neuroscience in einem bio-psycho-sozialen Ansatz

Prof. Günter Schiepek

Abstract
In diesem Beitrag soll kurz dargestellt werden, inwiefern „Hirnbildchen“ konstruiert sind, welche Arten von Hirnbildchen es gibt und wie sie zustande kommen. Zudem soll auf die Rolle der Neurowissenschaft in einem bio-psycho-sozialen Multilevel-Ansatz eingegangen werden.