Vortrag Rufer

Gibt es eine „Partitur“ zwischen Manual und Bauchgefühl?


Vortrag im Rahmen der Sektion „Manual und/oder Bauchgefühl“
Referent: Lic. phil. Martin Rufer
Datum: Freitag, 14. Oktober 2016
Uhrzeit: zwischen 10:00 und 12:00 Uhr (genauere Angaben folgen)

Im Zentrum einer systemisch-integrativen Theorie der Veränderung stehen nicht der Therapeut, sondern das komplexe Geflecht des therapeutischen Systems und seine selbstorgansierte Dynamik. »Heilen kann nicht mehr als exklusive Leistung einer heilenden Persönlichkeit gedeutet werden kann«, wie Wolfgang Loth es treffend ausgedrückt hat. Zweifel gegenüber manualisierten Therapien sind also angebracht. Die Frage aber bleibt, wie denn Therapeuten und Klienten miteinander ins Spiel kommen. Gilt das Bauchgefühl oder etwas „Drittes“ als Orientierung? Wer oder was sagt uns, dass wir mit dem, was wir in „Therapien machen“ denn auch richtig liegen?

Im Referat wird aufzuzeigen versucht, dass Therapeuten einen konzeptuellen „roten Faden“ brauchen, der ihnen bei der Navigation helfen kann. Insbesondere dann nämlich, wenn leidende Menschen kommen und einfach ihren Problemrucksack ausleeren und dem Therapeuten Einblick in die Alltagsturbulenzen gewähren, ist man gefordert. Im Referat wird „Selbstorganisation“ als ein Denk- und Handlungsmodell vorgestellt, das sich zwar nicht identisch ist mit Systemischer Therapie/ Familientherapie (als Therapieschule), sich aber mit dieser verknüpfen lässt (sozusagen als Verbindung von systemisch mit grossem und kleinem S). Dabei gelten sowohl die Erkenntnisse aus der Wirksamkeitsforschung als auch die „Generischen Prinzipien“ selbstorganisierender Prozesse (Schiepek u.a) als Orientierung bzw. als Filter für prozessadaptives Handeln. Heuristiken, die sich als Leitlinien für den Therapieprozess verstehen und aus der Komplexitätsforschung und der gelebten Praxis abgeleitet sind, werden zur Diskussion gestellt. Solche Heuristiken könnten helfen, in komplexen und auch klinisch relevanten Therapiesituationen den roten Faden nicht zu verlieren. Im Vordergrund stehen die Resonanz und die achtsame Synchronisation zwischen Therapeut und Patient. Vergleichbar mit der Musik handelt es sich um eine „offene Partitur“ (John Cage), die Theorie mit Erfahrungswissen sowie Intuition mit Techniken verbindet und so gewissermassen Noten in Melodien zum Klingen gebracht werden können…

Insbesondere im klinischen Kontext sind Psychotherapeuten als kontextsensible Gesprächskünstler gefragt, die zwar über theoretisches und störungsspezifisches Wissen verfügen, vor allem aber Feedbackprozesse lesen, verstehen und übersetzen können. Nur so wird Resonanz veränderungswirksam und der Therapeut zur passenden Essenz im komplexen Geflecht des therapeutischen Systems.